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Von den Kerzen, die auf kleinen an der Wand angebrachten Ablagebrettchen standen, ging ein Leuchten aus, das sich auf den Gesichtern der Gruppe ausbreitete. Ein Mann badete seine Fingerspitzen in dem flüssigen Wachs. Ich hätte mich gerne in diese Gruppe eingeschlichen, um ebenfalls das heiße Wachs auf meinen Fingerkuppen trocknen zu lassen und Teil der eingeschworenen Gemeinschaft zu sein, deren Gespräch leise um die Köpfe schwirrte, Worte, die nur die Eingeweihten verstanden. Doch ich kannte sie nicht, erkannte niemanden. Ich trank weiter aus meinem Glas, das beinahe leer war. Ich sah Henriette hinter der halb geöffneten Tür zu dem großen Zimmer, sah das Profil der hohen Frau hinter dem weißlackierten Holz des Türflügels auftauchen und verschwinden. Sie lachte bog sich dabei nach vorne, schnellte zurück und verschwand aus meinem Blickfeld. Schließlich blieb ihr Kopf halb abgeschnitten von dem Türflügel auf Henriettes Gesichtshöhe stehen. Ich sah gespannt zu ihnen hin, sah wie Henriette ihre Hand hob und der hohen Frau mit den Fingerspitzen über den Unterkieferknochen strich. Eine flüchtige etwas verschämte Geste, dann trennten sie sich, gingen jeder in eine andere Richtung. Ich löste mich von der Wand und folgte der mir Unbekannten.
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© Myriam Khouri
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Agnes glaubte sich allein in der Küche, während sie ihr Glas unter dem Wasserhahn füllte. Als sie sich umdrehte, das Glas schon an die Lippen hob, um zu trinken, stand eine große Frau im Türrahmen. Die nach hinten geklappte Kapuze umgab ihren langen Hals wie ein Schutzwall. Agnes Blick fuhr an dem ihr unbekannten und sie mit einer seltsamen Verlegenheit erfüllenden Gesicht vorbei und blieb hängen an bleichen Haarspitzen, die sorgfältig um die Ohrmuscheln herum geschnitzt waren. Die Frau blieb unbewegt stehen, als überlegte sie, ob sie die Küche betreten dürfe, wenn Agnes darin war. Sie schüttelte die Bedenken, von denen Agnes nur vermutete, dass sie ihr durch den Kopf gegangen waren, ab, ging zum Wasserhahn, spülte ihr Glas aus und füllte es ebenfalls mit Wasser. Die Bewegungen, zielgerichtet, von einer Eleganz begleitet, die ganz selbstverständlich aus ihren langen Armen floss. Agnes lehnte sich an die Anrichte und senkte den Blick, sah die schwarzen Turnschuhe mit den schaumigen Sohlen, die hohen Beine, umspannt von festem Stoff. Als sie sich überwand in das Gesicht der Frau zu sehen, traf sie ein entblätternder Blick. Agnes, von einem schamhaften Gefühl durchzuckt, schaute unsicher zurück in diese fremden Augen über dem dünnen Hals, die zaghaft eckigen Nasenflügel. Die Luft füllte sich mit Sätzen, die gesagt werden könnten, doch keine von beiden hob die Stimme. Die hohe Frau, wie Agnes sie in ihren Gedanken nannte, hielt ihr Glas an die Lippen, rollte es darauf hin und her, sah Agnes weiter an. Als sie trank, glaubte Agnes das Wasser zu sehen, wie es in ihren Hals floss. Sie dachte an den langen dunklen Gegenstand und die Worte des Architekten, beides flog vorbei, sie öffnete den Mund, sah weiter schweigend zu, wie die Frau das Glas leerte, spürte eine Trockenheit und in der Stille einen Wunsch, den sie nicht benennen durfte, aber auch nicht niederringen konnte- pochend stand sie, immer noch in ihr Schauen versunken, als die Andere das leere Glas neben der Spüle abstellte, mit einer entschlossenen Bewegung und, ohne Agnes noch einmal anzusehen, die Küche verließ. Das leer getrunkene Glas hob sich von den anderen Dingen in der Küche ab, es strahlte vor Agnes` Augen, von einem Rautenmuster durchflossen und zersprang auf den Keramikfließen. Agnes wich erschrocken zurück, jemand kam herein, suchte nach einer Kehrschaufel, fegte die Scherben zusammen. Ungeschickt versuchte sie, dem jungen Mann zu helfen, der die Scherben beseitigte, entschuldigte sich mit zitternder Stimme. Er sagte, das passiert, hatte schnell alles aufgewischt und verließ die Küche, Agnes ging wenige Schritte hinter ihm her, nur um den eng gewordenen Raum zu verlassen.
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© Myriam Khouri
Mit dieser Eröffnung gibt A307 ein weiteres mal die Auswahl der ausstellenden Künstlerin ab. Die im Mai 2016 gezeigte Künstlerin – Elisabeth Greinecker– hat Myriam Khouri ausgewählt.